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AutorenbildJulia von mind happens

Heute war ich in der Welt.

Heute war ich in der Welt. Wem bin ich begegnet? Wen habe ich gesehen?


Eine dicke Frau. Die Kleidung ein Zelt. Die bei jedem Schritt keucht. Deren Körper unattraktiv ist.


Einen lallenden Alkoholiker. Der völlig unzensiert schimpft, schreit, sich beschwert. Der allen anderen die Schuld gibt.


Einen seltsamen Ausländer, der achtlos seinen Müll auf die Straße wirft. Der keinen Respekt hat. Der rücksichtslos ist und nur an sich denkt.


Einer Jugendlichen, die das Selbe trägt wie die anderen Mädels in ihrer Gruppe. Die Mitläuferin. Die ohne Selbstbewusstsein. Die sich noch nicht gefunden hat.


Einem Pärchen, das sich an der Schlange im Supermarkt vordrängt. Das unverschämt ist. Das nicht weiß, was sich gehört - ohne Manieren und Anstand.


Einer Freundin, die leidenschaftslos ist. Die zugemacht hat. Die alles unter Kontrolle haben will. Der Sicherheit wichtiger ist als Lebendigkeit.


All denen bin ich begegnet.

Und dabei habe ich nicht einmal meine Wohnung verlassen.


Jetzt schaue ich nochmal hin:


Die Frau, die sich gehen lässt.

Die, wenn Frust, Traurigkeit oder Enttäuschung auftaucht, diese Emotionen mit Fett und Zucker betäubt. Die sich von diesen Gefühlen ablenken will, statt ihnen auf den Grund zu gehen. Die mal wieder keine Bewegung macht, obwohl sie weiß, wie gut ihr Sport tut. Die den ersten Bissen Torte nicht genießt, sondern dabei schon daran denkt, ein zweites Stück in sich hineinzuschieben. Die, die nicht genug kriegt, weil sie sich nicht spürt.

Diese Frau, die bin ich.


Der Trinker, der alles herausplärrt.

Der, der sich über die Ungerechtigkeit der Welt beschwert. Der ein Opfer seiner Umstände ist. Der nicht mehr handlungsfähig ist. Um den man besser einen Bogen macht, weil man nicht angeschrien und beschimpft werden will.

Dieser Mensch, das bin ich.


Der Undankbare. Der, der nichts wertschätzt. Der mehr kauft, als er braucht. Der nach 5 Minuten das Interesse an den Dingen verliert. Der seinen Müll der Nachwelt hinterlässt.

Dieser Mensch bin ich.


Das halberwachsene Kind, das verwirrt ist. Nicht weiß, wer oder was es ist oder sein soll. Das sich vergleicht und dabei immer schlecht abschneidet. Das nicht auffallen will. Das sich anpasst und dazugehören möchte.

Das bin ich.


Die Vordrängler. Die sich selber wichtiger nehmen als die anderen. Die ihren Vorteil suchen. Die Angst haben zu kurz zu kommen, nicht an die Reihe zu kommen, abgehängt zu werden.

Das bin ich.


Die Freundin, die allem skeptisch begegnet und ständig zweifelt. Die sich nicht begeistern kann. Die sich nicht traut, groß zu denken. Die so immense Angst vor Enttäuschung hat. Die sich sofort beleidigt zurückzieht, wenn etwas nicht auf Anhieb so läuft, wie geplant. Die lieber nichts mehr vom Leben erwartet.

Die bin ich? Scheiße, das alles bin ich!


Und wie praktisch, alle diese Anteile von mir wegzuschieben, nach Außen auf Andere zu projizieren und zu sagen: "So bin ich nicht. So doch nicht!" Und sich empört fragt: "Wie kann man nur?"


In den wenigen Momenten, wo ich klar sehe, wer und was ich bin, weiß ich auch, was ich auf jeden Fall nicht bin:

Ich bin nicht besser als er.

Ich bin nicht weiter als sie.

Ich bin nicht achtsamer, weiser, offener, lebendiger, freier, leidenschaftlicher, klarer, ambitionierter als die Anderen. Ich bin genau gleich!


Und dann gehe ich wirklich raus in die Welt. Gehe wirklich vor die Tür. Und mein Blick ist liebevoll. Liebevoll mit mir und liebevoll mit den Anderen. Keine Trennung. Verbindung. Eine Chance für echte Begegnung. Frieden. Ein paar Augenblicke lang gibt es keinen Vergleich. Alles gleich-wertig.


Im Park setze ich mich auf eine Bank. Bin selig...


...zwei alte Weiber setzen sich nebenan und schimpfen. Über Gott und die Welt.

Ich ärgere mich, stören sie doch meinen Frieden.


Dann dämmert es: Verdammt – wie die bin ich ja auch!


Photo credit: Naomi Suzuki via Unsplash

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