Ich komme nach einem Wochenende unterwegs Sonntag abends vom Bahnhof mit Koffer und Rucksack nach Hause. Wie immer möchte ich den Aufzug ins Dachgeschoss nehmen, aber der reagiert nicht – kaputt.
Ein Teil in mir möchte in Bruchteilen einer Sekunde reagieren, wie er den Großteil seines Lebens reagiert hat. Der vertraute Modus: 'verdammt! Warum gerade jetzt? Nach der langen Reise - mit meinem ganzen Gepäck und ausgerechnet heute habe ich auch noch ausnahmsweise 'mal die hohen Schuhe angezogen! Immer ich!'
Mein Verstand macht sich also zum Streiten bereit, Kampfmodus, schimpfen, fluchen! Aber mit wem streite ich da eigentlich? Mit wem kämpfe ich? Ich bin allein. Ich und mein Denken.
Und wer ist da noch? Eine Stimme, die fragt: 'Wie kann es jetzt leicht gehen?' Und dieser folge ich und bin wieder einmal erstaunt, wie einfach nun alles wird...
Die Realität ist: der Lift funktioniert nicht. Ich werde die Stiegen benützen müssen. Ein Kampf mit der Wirklichkeit erscheint also sinnlos.
Und so beobachte ich also nun diese Frau, in ihrem Sommerkleid und den Schuhen mit Absätzen wie sie mit Rucksack und Koffer die Treppen hochsteigt. Keine schweren, frustrierten Gedanken mehr.
Und plötzlich ist da diese kindliche Abenteuerlust, diese Neugier. 'Hey, das hab ich ja noch nie gemacht! Mal schauen, wie weit ich mit dem schweren Koffer komme, ohne Pause machen zu müssen.' Jetzt packt mich auch noch der Ehrgeiz und die Motivation: 'Sport habe ich heute eh noch keinen gemacht und bin ziemlich lange im Zug gesessen, also eigentlich fühlt sich das ganz gut hier an!'
Mein Herz beginnt intensiver zu schlagen, mein Atem wird schneller. Bei der Hälfte muss ich dann doch innehalten. Ich schaue aus dem Fenster des Halbstocks und seh' den Kirschbaum vom Nachbarhaus und wie die roten Früchte jetzt aus dem grünen Blätterdach herausleuchten.
Ich fange meinem Atem nach wenigen Momenten bereits wieder: 'Wie gut, dass ich gesund bin, starke Beine und Arme habe! Danke! Und was für eine schöne Reise ich machen durfte und wie sehr ich mich auf zuhause freue!' Diese Gedanken fühlen sich sehr leicht an und beflügeln mich für die zweite Hälfte des Stufensteigens. Und als ich oben ankomme, muss ich grinsen: 'Geschafft!' Das kann ich also auch, wusste ich noch gar nicht über mich!' Vor kaputten Aufzügen muss ich mich also nie mehr fürchten! Das ist ziemlich cool!
Was wäre, wenn die schweren Koffer deines Lebens schon reichten und du dafür die schweren Gedanken einfach stehen lässt?
- Du kannst auf zwei Arten die Treppen steigen: voller Wut, Frust und Ärger. Oder fröhlich, eigenermächtigt und dankbar.
Was glaubst du? Was ist wohl anstrengender? -
Photo: Francesco Ungaro via Unsplash
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